Von Veit Loers

Heute, nach über zwanzig Jahren, sind die Siebentausend Eichen nicht nur in die Jahre gekommen, sondern haben jeden Rest von „unser Dorf soll schöner werden“ abgelegt. Kassel ist nicht schöner geworden, sondern reicher. Noch immer wächst die Utopie der Beuysschen Idee gegen, jedoch zugleich mit der kollektiven Zeitachse als Parallelaktion, um mit Joseph Beuys zu sprechen: noch langsamer als das Wirtschaftswachstum, aber dafür stetiger. Utopie deshalb, weil aus der Idee zwar Realität geworden ist, aber ihre in die Zukunft gerichtete Intention nicht aufgegeben hat. Die Mahnmale der siebentausend Bäume „verwalden“ die Stadt zeitgemäß, sie sind aber mehr als innovative und alternative Stadtplanung, sie sind – in der Form des erweiterten Kunstbegriffs – ein Monument der terrestrischen Biosphäre.
Fast sein ganzes Künstlerleben lang hat sich Joseph Beuys mit der Dialektik vom Kristallinen, Geistigen und eben auch Toten sowie dem organisch Lebendigen, Kreativen, aber auch Chaotischen in seinem Wärmebegriff auseinandergesetzt. Eingeflossen ist es in fast alle Arbeiten, die auf den Kasseler documentas zu sehen waren, angefangen von den Wachsplastiken auf Holzbrettchen, den Bienenköniginnen, 1963, bis zur Kronenschmelze, als Begleitaktion der Siebentausend Eichen, 1982. Aber in den Siebentausend Eichen hat jener Wärmebegriff nochmals eine neue Intention und Bedeutung erhalten, die über das hinausgeht, was Beuys früher damit im Sinne hatte. Es ist nicht viel weniger und mehr als die Einbindung der Natur in die Menschenansammlung der Stadt und die Anbindung dieser „kommenden Gemeinschaft“ (G. Agamben) an den Kosmos. Diese Konstellation ist mit verschiedenen Qualitäten von Wärme verbunden.
Wie hat man sich das vorzustellen?
Dass Joseph Beuys, auch in Zeiten, als es nicht opportun war, dem Lehrsystem von Rudolf Steiner anhing (ein Faktor, den seine Biographen gerne verdrängen), befähigte ihn, den naturwissenschaftlich Gebildeten, die Relationen von Gestirnen, Erde, Pflanzen und Menschen neu anzudenken. Auf einer Zeichnung, die einige Jahre vor der Pflanzung der Siebentausend Eichen entstanden sein muss, gibt er als Skizze und Text wieder, was er beim Lesen von Rudolf Steiners Buch „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“, speziell einer Textstelle des Kapitels „Die Kräfte der Erde und des Kosmos“ aufnahm. Man sieht einen Stein, der zur Hälfte in der Erde steckt und mit den aus dem Text entnommenen Begriffen „Wurzelwärme“ und „Blüten- und Blattwärme“ definiert wird.

Die Wärme über der Erde nennt Steiner „tot“, jene unter der Erde „lebendig“, weil diese Sauerstoff, jene Kohlenstoff enthalte; die Wärme über dem Erdboden werde vom Sonnenbereich, dem Merkur, der Venus und dem Mond gebildet, während die Wärme im Erdboden von den äußeren Planeten herrühre.
Die Mineralien sind also „Collectoren für kosmische ferne Kräfte“, wie Beuys notiert, die sie an die Wurzeln der Pflanzen weitergeben. Im oberen Teil der Beuys-Zeichnung sieht man, wie das Tonige die kosmischen Kräfte an die Erdoberfläche befördert und wie die Kräfte, die durch Wasser und die Luft entstehen, durch den Kalkgehalt der Erde in den Boden hereingezogen werden. Der Baumstempel von Beuys zeigt deutlich, wie der Basaltstein Berührung mit der Wurzel aufnimmt.
Dass die Basaltsteine der Siebentausend Eichen auch Rechtsmale für die von Beuys als entrechtet deklarierten Bäume sind, entkräftet ihre „Collectoren“-Wirkung keineswegs, sondern verstärkt sie noch, weil der Wärmebegriff, den Steiner nennt, in einen sozialen Wärmebegriff transformiert wird. Der von Joseph Beuys symbolisierte, aber auch tatsächlich vorhandene Mineralienträger kann nun als Rechtssymbol fungieren und die an den Baum übertragene Wärme gesellschaftsfähig werden lassen. Kosmisch garantiertes Wachstum und conditio humana durchdringen sich im Kunstwerk der Siebentausend Eichen zu einem qualitativ Neuen. Beuys pflanzt nicht nur Bäume, er überträgt ihnen auch die Verantwortung für das Rechtssystem, wie es aus den Thingstätten der Vorzeit bekannt ist und wie es in der Zukunft, wenn Menschen und Bäume befreit sind, wieder eintreten könnte. Die Missionare des frühen Christentums haben die heiligen Eichen der Germanen skrupellos gefällt, um das Christentum zu etablieren. Heute, nach der Emanzipation des Menschen im Sozialverband gilt es die Bäume aus ihrer Abhängigkeit zu befreien, denn, wie Beuys anmerkte, „die Bäume sind heute viel intelligenter als die Menschen“ (im Interview mit Friedhelm Mennekes: F. J. v.d. Grinten, F. Mennekes, Menschenbild – Christusbild, Stuttgart 1984, S.112).

Zurück

Der Wärmebegriff, wie ihn Steiner nennt, wird von Beuys in einen sozialen Wärmebegriff transformiert.