„7000 Eichen“ – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung! Welche Bilder mögen Menschen im Kopf entwickeln, die nur wenig oder nichts von diesem Werk des Joseph Beuys wissen, und denen man eben diese Stichworte präsentiert? Ein Freund aus Schülertagen, der mich unlängst in Kassel besuchte, fragte dazu: „Ein Wald, hier in der Stadt, ein Eichenwald, wo?“ Und als ich ihm „Beuysbäume“ zeigte, schüttelte er den Kopf: „Aber das sind keine Eichen, ich glaube, das sind Platanen!“ Sicher, ich konnte ihm auch Eichen zeigen, aber dass dabei Eschen, Linden, Platanen ebenso unter die „7000 Eichen“ gerechnet werden, störte offensichtlich den Ordnungssinn meines Freundes, den er schon im jugendlichem Alter im gemeinsamen Klassenzimmer zu demonstrieren wusste. Dabei ahnte ich, dass er es auch im Interesse des Eichbaumes, dem er so etwas wie eine Vorrangstellung unter den Bäumen einräumte, nicht ganz passend fand, wenn Platanen oder Ahörner, nein Ahorne, unter dem Begriff „Eichen“ firmierten.
Jedenfalls brachte er diesen Gedanken zum Ausdruck; und erst als ich einwandte, dass es wohl kaum einen Wald gäbe, der nur eine Sorte Bäume hätte, auch wenn er zum Beispiel „Eichenwald“ hieße, ließ sich mein Freund darauf ein, dass die Stadtverwaldung eine Art von Mischwald hervorgebracht hätte, insgesamt benannt nach der dominierenden Baumart: „7000 Eichen“. Und immerhin waren da ja die Steine: Baum und Stein jeweils nebeneinander „gepflanzt“, gleich ob Ahorn, Platane oder Eiche, jeder Beuys-Baum mit seiner Basaltstele, wie ich meinem Freund zeigte. Und ich versuchte ihm zu sagen, was mir zu dieser Partnerschaft von Baum und Stein aufgefallen war: Die Veränderung von Abständen und Proportionen durch das Wachstum der Bäume, ablesbar an Stellungen der Steine, die nicht mehr ursprünglich sein konnten, weil zu dicht am Stamm oder vom Wurzelwachstum in eine Schieflage gehoben...
Hatte mein Freund zunächst gemeint, die Steine seien nur zum Schutz der Bäume wie zu deren Kennzeichnung gesetzt worden, versuchten wir uns nun in Prognosen, wie lange es wohl dauern könnte, bis hier Stein und Stamm einander berührten – und dort der Stein vom Stamm weggedrückt würde und irgendwann umfiele. Aber die nächste Irritation stand meinem Freund bevor. Abgesehen davon, dass die Verwaldung keinen wirklich zusammenhängenden Wald geschaffen hatte, sondern eher Alleen, Plätze und Grundstücke mit Bäumen, stellte mein Freund bald fest, „dass viele der „7000 Eichen“ irgendwie falsch standen: eingezwängt zwischen Häuserfassaden und Verkehrsstraßen ohne ausreichenden Platz, zu dicht gepflanzt - oder im Schatten vorhandener Bäume um Wachstumsmöglichkeiten gebracht. Je genauer wir hinsahen, um so deutlicher wurde uns, dass Bäume der „7000 Eichen“ oft nicht nach gärtnerischer oder stadtplanerischer Erkenntnis gepflanzt worden waren, sondern eher im Sinne von Aktionen, die auch jeweils subjektiv gesteuert waren: Hier könnten Bäume die Stadt verändern, ihr Bild und das Leben in ihr. Und in diesem Wechselspiel zwischen „objektiv problematisch“ und „subjektiv passend und gewollt“ kann der falsche Standort irgendwie zum richtigen Standort werden. „Obwohl“, sagte mein Freund, „ich denke, die Stadt wird in Zukunft eine Menge Probleme mit einer Menge Beuys Bäume bekommen.“ Und er dachte dabei sicher an das Kuriose, wie die Stadtverwaldung, die einst gegen das durch Normen und Vorschriften verwaltete Leben Front machte, nun auch die Verwaltung herausfordern würde, die, wie mein Freund es ausdrückte: die Folgen der „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ auch wieder verwalten müsste. Und da konnte ich ihm nur zustimmen, war aber auch angeregt durch den Gedanken, dass dieses Werk durch Leben lebendiges Handeln erfordert, Veränderungen notwendig macht, aber als Kunstwerk auch Schutz genießt, wobei es anders als ein Park oder ein Wald eben nicht nach genormten, sondern eigenen Maßstäben behandelt werden will. Ich kann nicht genau sagen, mit welchen Bildern der „7000 Eichen“ mein Schulfreund Kassel und mich wieder verlassen hat, aber Bilder und Eindrücke werden bleiben – bei ihm und bei mir.
„Die Bäume sind heute viel intelligenter als die Menschen.“
Joseph Beuys