Die Aktion 7000 Eichen von Joseph Beuys zur documenta 7 1982 war für mich persönlich eine innere Bereicherung, sowohl durch die Bekanntschaft mit Joseph Beuys als auch fachlich durch die Zusammenarbeit mit dem Koordinationsbüro 7000 Eichen, mit Norbert Scholz und allen anderen Mitarbeitern. Aber nicht nur dieser fachliche Aspekt, mehr noch das Motto dieser Aktion „Verwalden statt Verwalten“ war für mich als Leiter des Stadtgartenamtes eine Herausforderung und eine Möglichkeit, eigene Vorstellungen von Stadtplanung und Stadtentwicklungsplanung zu verwirklichen, zum Beispiel „Der Grünen Stadt für Frauen und Kinder“.
In der Überschrift „Verwalden statt Verwalten“ ist die Aufforderung nach Veränderungen, nach einem Umdenken enthalten. Mehr Bäume in der Stadt verändern das optische Bild einer Stadt, verändern die ökölogische Situation in der Stadt, verändern das Leben und die Strukturen einer Stadt.
Was hat sich verändert, was hat diese Aktion bewegt?
Die Stadt hat sich verändert. Das optische Bild der Stadt hat sich um den Reichtum von 7000 Bäumen verändert und verbessert. Die Ökölogie der Stadt hat sich um die Masse von 7000 Bäumen verändert und verbessert. Das Bewusstsein der in Kassel lebenden Menschen hat sich durch den Besitz der 7000 Bäume als Kunstwerk erweitert. Die Bäume mit ihren Stelen stehen überall.
Was hat sich bewegt, was hat sich entwickelt?
Unser Thema einer „Grünen Stadt für Frauen und Kinder“ wurde sichtbar. Martha Muchow wies bereits Anfang der dreißiger Jahre in ihrer Untersuchung aus Hamburg „Der Lebensraum des Großstadtkindes“ darauf hin, dass die Straße dem kindlichen Erleben innerhalb seines Lebensraumes am nächsten steht. Es war damals noch die lebendige Straße. Die amerikanische Schriftstellerin Jane Jacobs schrieb in ihrem 1976 erschienenen Buch „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“: Die Straßen und die Bürgersteige sind die wichtigsten öffentliche Orte einer Stadt. Wenn die Straßen einer Stadt uninteressant sind, ist die ganze Stadt uninteressant, wenn sie langweilig sind, ist die ganze Stadt langweilig“. Straßenbäume waren über Jahrzehnte unverzichtbarer Teil einer Straße, sie bildeten als doppelreihige oder vierreihige Alleen das Gerüst einer Stadt. Die Bürgersteige gaben durch ihre Breite Raum für Spiel und Kontakte, wenn es räumlich möglich war, grenzte eine Baumreihe den Bürgersteig von der Fahrbahn ab. Dieser Planungsansatz wurde 1933 abgebrochen. Kinder schienen als Benutzer der Strassen und vor allem der Bürgersteige für die Straßen und Stadtplaner eine Seltenheit geworden zu sein. Erst in den 60er Jahren deutet sich eine Renaissance an. Ein anderer Schriftsteller schrieb und trifft dabei sicherlich unserern Nerv: „Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume?“ Dieser Satz drückt aus, dass Bäume in der Stadt nicht nur eine ökologische Funktion ausüben, sondern mit ihrem Grün, ihrem Spiel von Licht und Schatten eine starke seelische Komponente aufweisen. Sie zu erhalten und zu vermehren ist eine wichtige Aufgabe zur Erhaltung der humanen Gestalt der Stadt und ihrer Lebensfähigkeit.
Das Grüne Danilov - Eine Stadt für Frauen und Kinder
Seit 1990 arbeite ich ehrenamtlich als Consultant für den Magistrat der Stadt und die Regierung der Oblast (Gebiet) Yaroslavl’ auf allen Gebieten der Stadtund Umweltplanung. Eine meiner Aufträge betraf die Stadt Danilov, eine Kreisstadt nördlich von Yaroslavl’. Innerhalb der Entwicklungsplanung sollte ich einen Plan für Strukturen einer Stadt, Probleme und Lösungsmöglichkeiten erarbeiten. Bewaffnet mit den Unterlagen, der Literatur, machte ich mich ans Werk. Es wurde eine gute Arbeit, die in Russland auf großes Interesse stieß. Der Planungsansatz aus der alten Literatur war neu, in Russland schon philosophisch. In Deutschland erhielten wir einen Förderpreis 2000 des DEUTSCH-RUSSISCHEN FORUMS Berlin.
Der Standort des Straßenbaumes
Bäume sollen nicht nur gepflanzt werden, sie müssen auch gepflanzt werden können, die Pflanzung muss bezahlt werden können, der Standort muss ein mehr oder weniger gesundes und vitales Wachstum ermöglichen. Wassermangel, Bodenverdichtung, Beschädigung des Wurzelsystems schädigen das Wachstum der Straßenbäume gravierend. Der unmittelbare Baumstandort muss optimiert werden, um dem neu gepflanzten Baum gute Startbedingungen und damit Überlebenschancen zu geben. Und es darf nicht viel kosten.
Seitens der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung und Landschaftsbau in Bonn wurde eine „Arbeitsgruppe Straßenbäume“ gegründet, die zusammen mit städtischen Gartenämtern von 14 Städten und der wissenschaftlichen Leitung der Universität Mainz ein Forschungsprogamm zu diesem Thema entwickelte. Wegen der exemplarischen Vorarbeiten in Kassel an der Aktion 7000 Eichen wurde ich gebeten, die Leitung zu übernehmen. Mehrer wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität Mainz promovierten mit verschiedenen Themen der Untersuchung. Untersucht wurden das erforderliche Bodensubstrat, die Chemie der festen und flüssigen Bodenmatrix, Bodenchemie und Bodenphysik der Untersuchungsstandorte und des daraus sich errechnenden Anforderungskataloges. Das Ergebnis war verblüffend einfach, aber für uns von der Aktion 7000 Eichen logisch und verständlich. Das Substrat soll zu 50% aus Schotter und zu weiteren 50% aus anstehendem Boden bestehen.
Joseph Beuys in Russland - Ein Beitrag für einen aktiven Kulturaustausch
Bei Gesprächen mit dem Dekan der Fakultät für Russische Philologie und Kultur an der Pädagogischen Universität Yaroslavl’ über das Problem der Vermittlung deutscher Kultur in Verbindung mit dem Studium der deutschen Sprache kamen wir auf Joseph Beuys und seine Aktion 7000 Eichen zur documenta 7 1982 in Kassel zu sprechen, auf seinen „Erweiterten Kunstbegriff“ und den Einsatz von Studenten der Universität Kassel bei der Pflanzaktion. Wir sprachen vor allem über die Möglichkeit, eine solche Aktion in Yaroslavl’ mit Studenten der Pädagogischen Universität zu organisieren. An der Fakultät für Philologie und Kultur in Yaroslavl’ wird nicht nur dem Studium der deutschen Sprache als Kommunikationsmittel, sondern vor allem der Vermittlung der deutschen Kultur eine große Bedeutung beigemessen. Und Joseph Beuys wollte die Pflanzaktion nie beenden und auch in Russland fortsetzen. Bei einem Arbeitsbesuch 1996 in Yaroslavl’ wurde ich vom stellvertretenden Bürgermeister um Vorschläge für die Gestaltung des Gartens der Partnerstädte gebeten, der in unmittelbarer Nachbarschaft zu Wolga und zum Denkmal der russischen Dichters Nekrassov vorgesehen war. In Abstimmung mit dem Dekan der Pädagogischen Universität Yaroslavl’ und dem Koordinationsbüro 7000 Eichen in Kassel wurde vorgeschlagen, auf der Basis der Aktion 7000 Eichen von Joseph Beuys in Kassel eine Baumskulptur in Form eines Baumkreises aus 8 Bäumen in jeweils einem Segment als Symbol für Frieden und Freundschaft zu pflanzen. Für jede Partnerstadt ein Baum, ein Stein. Die Grundidee eines Kreises mit 8 Segmenten hatte die Bauverwaltung der Stadt Yaroslavl’ vorgegeben. Studenten der Pädagogischen Universität Yaroslavl’ pflanzten die Bäume bei einem Volksfest zur Eröffnung am 9. Mai 1998 mit vielen Volksgruppen, Schulkindern und Veteranen. Auch diese Arbeit wurde vom DEUTSCH-RUSSICHEN FORUM 2001 mit einem Förderpreis prämiert.
Diese Aktion in Russland ist ein wichtiger Beitrag zur Vermittlung deutscher Kultur in Russland. Für die Pädagogische Universität war und ist es sehr wichtig, dass die Studenten als zukünftige Lehrer schon während des pädagogischen Praktikums in den Schulen der Oblast Yaroslavl’ mit Begeisterung von diesem Projekt erzählen und ein echtes Interesse der Schüler erweckt haben. Die Teilnahme an der Aktion hat die Motivation der Studenten wesentlich erhöht, die deutsche Sprache zu studieren und die deutsche Kultur kennen zu lernen. Die Partnerstädte von Yaroslavl’: Jyväskula/Finnland, Poitiers/ Frankreich, Coimbra/Portugal, Berlington/USA, Exeter/ Großbritannien, Hanau und Kassel/Deutschland. Im Rückblick hat die Aktion 7000 Eichen viel bewegt und einiges verändert.
„Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume?“
Günter Eich