Von Dr. Harald Kimpel

Joseph Beuys: „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“
7000 Bäume, 7000 Basaltsäulen: Die Pflanzung der Bäume zusammen mit jeweils einem begleitenden Stein an 7000 Punkten in Kassel wurde 1982 von Joseph Beuys als Beitrag zur documenta 7 begonnen und konnte 1987 zur documenta 8 abgeschlossen werden. Mit der „sozialen Plastik“ realisierte er die meistdiskutierte und folgenreichste Intervention, die im Rahmen von documenta-Außeninstallationen im Kasseler Stadtgebiet je vorgenommen wurde. Kein anderes Kunstwerk greift so intensiv und nachhaltig in das topographische und gesellschaftliche Gefüge der Stadt ein, keines verpflichtet aber auch so permanent zu aktiver Pflege und zum Bewusstsein über den Wert dieses Geschenks an die Kasseler Bürgerinnen und Bürger.
Mit ihrer materiellen Präsenz wie mit ihrer geistigen Dimension verkörpert die Stadtverwaldung eine in jeder Hinsicht einzigartige künstlerische Maßnahme:

Entstehung
Über einen Zeitraum fünf Jahre hinweg ist die Pflanzaktion als Gemeinschaftsprojekt von öffentlichem und privatem Engagement realisiert worden. Der gesellschaftliche Prozess, in dem sich die keilförmige Basaltaufschüttung vor dem Museum Fridericianum in Einzelstandorte von Baum und Stein überall im Stadtgebiet verwandelte, kann als Modell für das kontroverse, letztlich konstruktive Zusammenwirken von Politik, Kunst und Bürgerinteressen gesehen werden.

Dynamik
Mit der 7000. Setzung von Baum und Stein ist das lebendige Kunstwerk keineswegs abgeschlossen. Als ein gewachsenes und weiter wachsendes Werk, das sich sowohl in seiner Substanz als auch in seinen Standorten mit der Zeit verändert, besitzt es eine dynamische Struktur, die es für immer unvollendet bleiben lässt.

Erstreckung
Wegen ihrer ausgreifenden räumlichen Dimension ist die Stadtverwaldung an keiner Stelle vollständig überblickbar. Diese offene Form des Kunstwerks fordert an jedem Punkt zur gedanklichen Vervollständigung des teilweise Sichtbaren auf. Jeder Einzelstandort verweist auf die in ihm aufgehobene Gesamtstruktur der Anlage.

Pflege
Die konservatorische Betreuung des Kunstwerks „7000 Eichen“ obliegt nicht Restauratoren, Kuratoren oder anderen Kunstsachverständigen, sondern Gärtnern, Stadtplanern, Politikern und Anwohnern. Dem Werk eine Zukunft zu garantieren, liegt also in der Verantwortung jedes einzelnen Bürgers, aber auch der Stadtverwaltung, gegen die sich das Werk bereits in seinem Titel ausspricht.

Verständnis
Ökologische, ökonomische, philosophische und ästhetische Aspekte sind in den 7000 Eichen so miteinander verwachsen, dass sie vor dem Hintergrund der sich weiter entwickelnden urbanen und gesellschaftlichen Verhältnisse jederzeit immer wieder neu zur Diskussion stehen. Denn wie das Werk unvereinbare Prinzipien miteinander versöhnt (Wachstum, Leben, Zukunft / Erstarrung, Leblosigkeit, Endzustand), verbindet es augenscheinliche Verstehbarkeit mit ständig spürbarer Erklärungsbedürftigkeit. Dieses Spannungsverhältnis von Evidenz und Anzweiflung macht jenseits der praktischen Pflege auch einen andauernden theoretischen Umgang mit dem Kunstwerk notwendig.
So gesehen bedeutet die Kasseler Großskulptur „7000 Eichen“ die Quintessenz des ins Soziale erweiterten Kunstbegriffs von Joseph Beuys.

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… kann als Modell für das kontroverse, letztlich konstruktive Zusammenwirken von Politik, Kunst und Bürgerinteressen gesehen werden.